Wenn die Ferse brennt

Probleme mit der Achillessehne sind nervig, schmerzhaft und auch mental belastend – vor allem, wenn sie chronisch sind. Die meisten Betroffenen haben schon unzählige Dinge wie Physiotherapie, Magnetfeld- oder Stoßwellentherapie ausprobiert, viel Geld für Salben und Behandlungen ausgegeben und 100 verschiedene Tipps von Dehnen bis Einlagen gehört. Doch nichts hat wirklich langfristig geholfen.

Die meisten dieser Maßnahmen sind passiv und die Verantwortung für den Heilungsprozess wird nach außen hin verlagert. Somit verfestigt sich die selbst zugeschriebene Opferrolle. Hinzu kommt, dass die wenigsten dieser Behandlungsmethoden evidenzbasiert sind, also wissenschaftlich belegt. Im Gegensatz dazu kann ein ganz anderer Ansatz sowohl in wissenschaftlichen Studien als auch in der Praxis überzeugen: nämlich gezieltes Krafttraining und progressive Belastungsanpassung, ganz individuell an die jeweilige Schmerz-Situation angepasst.

Achillessehnenschmerzen und Sport


Sportlerinnen und Sportler, die in Spielsportarten wie Fußball oder Handball aktiv sind oder regelmäßig laufen, sind besonders häufig von Problemen mit der Achillessehne betroffen. Eine umfassende Studie hat ergeben, dass 52% aller Mittel- und Langstreckenläufer in ihrem Laufleben an Achillessehnenschmerzen leiden oder gelitten haben – also jeder zweite Läufer bzw. Läuferin. Die Achillessehne ist zwar die stärkste Sehne des Menschen, jedoch muss sie auch viel leisten – vor allem während der Laufbewegung. Sie ist mit der Wadenmuskulatur verbunden und setzt an der Ferse an. Ihre vorrangige Aufgabe ist es Kraft zu übertragen, um Muskeln zu entlasten und Bewegungen zu ökonomisieren. Laufen ist eine Abfolge vieler einbeiniger Sprünge, wobei das Körpergewicht immer wieder abgefangen und nach oben katapultiert werden muss. Dabei wirken bei jedem Schritt Kräfte des drei- bis fünf-fachen Körpergewichts. Die Achillessehne wird bei jeder Landung in die Länge gezogen, nimmt dabei Energie auf und gibt sie kurz darauf wieder ab. Bei hohen Geschwindigkeiten, abrupten Richtungswechseln oder plötzlichem Abstoppen, wie es in vielen Sportarten ständig vorkommt, vervielfachen sich diese Kräfte.

Sehnen sind sensibel und reagieren vor allem bei Belastungsänderungen. Damit sind nicht nur größere Trainingsumfänge gemeint, sondern auch beispielsweise das Wechseln der Schuhe oder Untergründe. Ist man das Laufen im Wald gewohnt, kann es durch die spontane Teilnahme an einem Stadtlauf schon zu Schmerzen an der Achillessehne kommen. Schmerzexperte Nils Heim sagt: „Was genau zu den Problemen führt, ist dabei noch immer nicht bekannt. Die Standard-Erklärung, dass es sich bei Achillessehnenschmerzen immer um eine Entzündung handelt, ist mittlerweile nicht mehr haltbar.“

Sehnenschmerzen können ganz plötzlich auftreten oder sich langsam anbahnen und sich beispielweise zunächst über ein Druckgefühl bemerkbar machen. Häufig war die Sehne schon früher überlastet, bevor ein Schmerzgefühl überhaupt auftritt. In den allermeisten Fällen lassen sich Schmerzen an der Achillessehne aber auf eine Überbelastung durch die Änderung oder Intensivierung des Trainings zurückführen.

Schmerzen verstehen


Schmerzen müssen nicht unbedingt mit einem Gewebeschaden einhergehen, sondern sind ein Produkt verschiedener Einflüsse und Erfahrungen. Sporttherapeut Tobias Ketelsen fasst zusammen: „Schmerzen sind eine Interpretation des Gehirns.“ Damit ist gemeint, dass Schmerzen nicht an der Stelle entstehen, an der wir sie spüren. Schmerzwahrnehmung ist ein hoch komplexer Prozess und läuft vereinfacht dargestellt so ab: Ein bestimmter Reizimpuls wird durch Sinneszellen wahrgenommen und über das Rückenmark ans Gehirn weitergeleitet. Reize werden jedoch unterschiedlich verarbeitet, und Schmerz ist subjektiv. Ganz verschiedene Einflüsse spielen dabei eine Rolle: natürlich biologische und auch genetische, aber auch psychische und sogar soziale. Man spricht von einem biopsychosozialen Modell der Schmerzentstehung. So können sich beispielsweise Schlafmangel oder eine Erkältung negativ auf die Schmerzempfindung auswirken. Auch Stress kann Schmerzen verstärken, da Stress zu innerer und auch muskulärer Anspannung führt. Größere Schmerzen führen dann zu noch mehr Stress, wodurch ein regelrechter Teufelskreis entsteht. Ein Schmerztagebuch kann helfen, um diese Zusammenhänge zu verdeutlichen.

Um chronische Achillessehnenbeschwerden langfristig loszuwerden, reicht es also nicht, die Körperstelle einzusalben oder mit der Faszienrolle zu behandeln. Vielmehr muss man herausfinden, was einem guttut und vor allem Schmerzen besser verstehen lernen. Das ist extrem wichtig, um die Angst vor Belastung loszulassen. Bei einer schmerzenden Achillessehne sei es laut Schmerzcoach Nils Heim sehr unwahrscheinlich, dass es zu einem Abriss kommt. Man müsse nur die richtige Trainingsdosis finden, um die Sehne nicht weiter zu überlasten, sondern sie langfristig zu stärken.

Was wirklich hilft


Der allgemeine Ratschlag bei Achillessehnenbeschwerden lautet: „Mach Pause!“ Das kann bei akuten Schmerzen sinnvoll sein und kurzfristig helfen, sodass die Schmerzen ein Stück weit zurückgehen. Aber sobald man wieder in die Belastung geht, sind sie wieder da oder sogar noch schlimmer. Der Körper funktioniert nach dem Prinzip: Use it or lose it! Wird die Sehne zu stark belastet, reagiert sie mit Schmerzen, wird sie jedoch unterfordert, verliert sie ihre Leistungs- und Funktionsfähigkeit. In der Achillessehnenreha kommt es darauf an, die Belastbarkeit durch systematisches Training (wieder) aufzubauen. Nils Heim erklärt das Prinzip des Schmerzcoachings so: „Man muss sich die Belastbarkeit der Sehne wie einen Belastung-Strahl vorstellen. Auf der einen Seite steht die Zielsportart wie das Laufen oder Fußball, bei der die Sehne durch schnelle Kraftübertragung extrem viel leistet. Auf der anderen Seite befinden sich wenig belastende statische Übungen, bei denen die Sehne unter Last nur Haltearbeit verrichtet. Stück für Stück arbeitet man sich auf diesem Strahl voran und erhöht die Belastung sukzessiv. Dabei wird immer geschaut: Wie reagiert die Sehne? Wird der Trainingsimpuls gut verkraftet, kann ein bisschen erhöht werden.“

Krafttraining für die Waden- und Schienbeinmuskulatur entlastet die Sehne und stärkt umliegende Strukturen. In der Praxis kann das Wadentraining so aussehen: Man beginnt mit statischen Halteübungen, z.B. den Wandsitz auf Zehenspitzen für drei Mal 30 Sekunden. Löst diese Übung keine massiven Schmerzen aus, stellt dann die nächste Stufe das Wadenheben dar – im Sitzen und Stehen. Beim stehenden Wadenheben wird primär der große Zwillingsmuskel, der Musculus Gastrocnemius belastet, beim sitzenden eher der kleinere Schollenmuskel (Musculus Soleus), der seinen Ursprung unterhalb des Knies hat. Das Wadenheben kann dann erst beidbeinig, dann einbeinig durchgeführt werden. Zur weiteren Progression kommen die Erhöhung des Stands und Zusatzgewicht hinzu. Als nächstes folgen kleine Sprünge und schließlich ganz langsam der Einstieg in die Laufbelastung. Nils Heim betont, dass das eigene Ego dabei stark zurückgeschraubt werden müsse. Der Wiedereinstieg beginne deutlich weiter vorne als da, wo man aufgehört habe.

Für die Übungsauswahl in der Schmerztherapie ist das stetige Feedback entscheidend, wie gut oder weniger gut eine Übung verkraftet wurde. Heim erklärt: „In der Reha geht es manchmal hoch und runter. Deshalb ist stetiges Feedback das Wichtigste, um das Training anzupassen. Es gibt viele kleine Kniffe, die dazu führen, dass es weiter geht oder eben nicht.“

Das aktive Arbeiten gegen (chronische) Achillessehnenschmerzen sendet eine wichtige Botschaft: Man ist dem Scherz nicht ausgeliefert, sondern kann etwas dagegen tun. Es gibt immer eine Ãœbung, die machbar und schmerztechnisch tolerierbar ist. Neben der Trainingssteuerung spielen auch Wissenserwerb und mentales Training eine wichtige Rolle, um wieder komplett schmerzfrei zu sein.

Drei schnelle Tipps als Akuthilfe


Schmerzen nerven und der Weg zur Schmerzfreiheit kann lang sein. Es gibt aber neben dem regelmäßigen Krafttraining und der sukzessiven Belastungssteigerung auch kleine Tipps, die zumindest kurzfristig entlasten und bei der Reha unterstützen.

Das richtige Schuhwerk spielt eine große Rolle. Vor allem die Dämpfung an der Sohle wirkt sich direkt auf die Sehne aus, da sie die vielen kleinen Sprünge entweder gut abfedert oder knallhart weiterleitet. Je weicher die Sohle ist, desto besser für die Achillessehne. Durch eine hohe Dämpfung wird ein Teil der Energie bei jedem Schritt aufgenommen und wieder abgegeben, was der Sehne etwas Arbeit abnimmt.

Nach dem Aufstehen ist der Schmerz meist am größten. Die Achillessehne fühlt sich steif und unbeweglich an. Ein paar Minuten auf einem Wackelpad helfen durch kleine Bewegungen des Sprunggelenks. Exzentrisches Wadenheben unterstützt ebenso, morgens in die Gänge zu kommen und die Achillessehne aufzuwärmen. Fünf Minuten täglich reichen aus. Da sich Sehnengewebe recht langsam anpasst, sollte dieses Programm für mindestens drei Monate absolviert werden. Stell dich hierfür auf eine Erhöhung, sodass sich die Fersen in der Luft befinden. Hebe dich nun mithilfe deines gesunden Fußes in den Zehenstand. Verlagere dein Gewicht auf das betroffene Bein und senke deinen Fuß dann so weit ab, dass eine Dehnung zu spüren ist. Empfehlenswert sind zehn bis 15 Wiederholungen für drei Sätze auf beiden Seiten, damit es zu keinen Dysbalancen kommt. Täglich für mindestens drei Monate!

Abbildung: Breslavtsev Oleg / shutterstock.com
Quelle: shape UP 3/2023
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