Corona-Risiko im Studio?

​Die aktuelle Corona-Pandemie hat drastische Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Fast alle Branchen sind in irgendeiner Weise von den Maßnahmen der Politik betroffen. Ganz besonders stark in Mitleidenschaft geraten ist der Geschäftszweig Fitness und Gesundheit.

Während diese Branche in der Zeit vor Corona boomte und speziell die Fitnessstudios Mitgliederzahlen auf Rekordniveau aufzeigten, gab es im Corona-Jahr 2020 eine Trendwende. Nachdem die deutschen Fitnessstudios Ende 2019 noch 11,66 Millionen Mitglieder aufwiesen, waren es Ende 2020 nur noch 10,31 Millionen Mitglieder. Ohne die stillgelegten Mitgliedschaften sank die Zahl sogar auf 9,79 Millionen Mitglieder. Dies geht aus den Eckdaten der deutschen Fitness-Wirtschaft 2021 hervor. Als Stichtag für die Datenerhebung wurde der 31.12.2020 herangezogen.

Spricht man mit den Inhabern von Fitnessstudios liegt die Zahl der Kündigungen der Mitglieder meistens zwischen 20% und 30%, in Einzelfällen sogar bis zu 40%. Auch die Umsatzentwicklung ist durch die fehlenden Mitgliedsbeiträge stark rückläufig. Nach einem Rekordumsatz von 5,51 Milliarden Euro netto in 2019, betrug der Umsatz in 2020 lediglich noch 4,16 Milliarden Euro netto. Eine Frage, die sich bei diesen erschreckenden Zahlen immer wieder stellt, ist, ob das Handeln der Politik hinsichtlich der Schließung der Fitnessstudios wissenschaftlich fundiert ist.

Beschleunigung des Infektionsrisikos?


Chang et al. veröffentlichten im November 2020 eine Untersuchung, bei der die Smartphone-Bewegungsdaten von 98 Millionen Menschen aus zehn verschiedenen Großstädten der USA analysiert wurden. Die Daten wurden im Zeitraum 1. März bis 2. Mai 2020 erhoben und umfassten die Aufenthaltsorte der Probanden. Diese Bewegungsdaten wurden dann mit den Infektionszahlen sowie den Erkenntnissen über die potenziellen Verbreitungswege des Coronavirus in Relation gesetzt. Im Fokus standen verschiedene Bereiche und Einrichtungen des öffentlichen Lebens wie Restaurants, Fitnessstudios, Cafés und Bars, Hotels, Religionshäuser, Arztpraxen, Lebensmittelgeschäfte, diverse Einzelhändler, Tankstellen und Autohändler, die als potenzielle Infektionsherde ausgemacht wurden. Interessanterweise wurden zum Beispiel Altenheime, (Hoch-)Schulen, Krankenhäuser und Arbeitsstätten (zum Beispiel Büros und Fabriken) sowie der öffentliche Personennahverkehr nicht berücksichtigt. Weiterhin wurde simuliert, wie sich eine Öffnung der einzelnen Bereiche und Einrichtungen auf die Infektionszahlen auswirken würde. Dabei führten insbesondere die Öffnungen von Restaurants, Fitnessstudios, Cafés und Bars sowie Hotels und Religionshäuser zu einem deutlich ansteigenden Infektionsgeschehen. Allerdings ist bei dieser Simulation keine Kausalität gegeben und es wurden auch keinerlei Abstandsregeln, Hygienekonzepte oder gar Zulassungsbeschränkungen berücksichtigt.

Hohes Infektionsrisiko?


Zu vergleichbaren Ergebnissen kam bereits die Studie von Jang, Han et al., die im August 2020 publiziert wurde. Hierbei wurde ein sehr hohes Infektionsrisiko bei den Teilnehmern von Fitnesskursen festgestellt. Innerhalb von 24 Tagen wiesen 112 Sportler aus 12 Sportanlagen eine Infektion auf. Bei diesem Setting aus Südkorea wurden allerdings ebenfalls keine Schutzmaßnahmen ergriffen. Stattdessen bestanden relevante Risikofaktoren wie sehr große Gruppengröße, sehr kleine Räume, feuchte und warme Luft sowie unzureichende Durchlüftung in hohem Maße.

Können Hygiene- und Abstandsregeln das Infektionsgeschehen minimieren?
Zu sehr interessanten Ergebnissen kam eine Studie aus Norwegen, die von Helsingen et al. durchgeführt wurde. An dieser Untersuchung nahmen 3.764 Probanden im Alter von 18 bis 64 Jahren teil. Nach dem Zufallsprinzip wurde 1.896 Probanden der Zutritt zu fünf Fitnessstudios in Oslo erteilt, während die Kontrollgruppe mit 1.868 Probanden keine Trainingsmöglichkeit erhielt. Die Trainingsgruppe musste sich an spezielle Hygieneregeln sowie Regeln zum Mindestabstand halten. Die Umkleidekabinen waren geöffnet, Duschen und Saunen blieben geschlossen. Eine Maskenpflicht bestand nicht. Während des Interventionszeitraums von 14 Tagen trainierten 81,8% der Probanden mindestens einmal, 38,5% mindestens sechsmal in einem der fünf Fitnessstudios. Lediglich ein Proband der Trainingsgruppe wies letztendlich einen positiven Corona-Tests auf, wobei die Rückverfolgung jedoch ergab, dass sich dieser nachweislich am Arbeitsplatz infiziert hatte. Unterm Strich konnte kein erhöhtes Risiko für eine Ansteckung mit Corona im Fitnessstudio festgestellt werden. Folglich scheinen umfassende Hygiene- und Abstandsregeln das Corona-Infektionsrisiko im Fitnessstudio zu minimieren. Allerdings entsprach die Auslastung der fünf Fitnessstudios keinesfalls einem realen Szenario. Nicht einmal 2.000 Probanden verteilten sich auf fünf Fitnessstudios und von diesen Probanden wies nur knapp über ein Drittel eine Trainingshäufigkeit von mehr als sechsmal innerhalb von 14 Tagen auf. Dementsprechend dürfte für die praktisch nicht vorhandenen Infektionen vor allem auch die geringe Auslastung verantwortlich gewesen sein.

Dokumentierte Ansteckungen?


Auch die Organisation EuropeActive führte in Zusammenarbeit mit der Sheffield Hallam Universität und der King Juan Carlos Universität eine Untersuchung zum Ansteckungsrisiko durch Corona in Fitnessstudios durch. Die Datenerhebung fand im Zeitraum 4. Mai bis 25. Oktober 2020 statt. Involviert waren 2.362 Fitnessstudios und Sportanlagen aus 13 europäischen Ländern. Diese Einrichtungen mussten regelmäßig mittels eines Online-Fragebogen die Anzahl der täglichen Besuche sowie die Anzahl der nachweislich bestätigten Corona-Infektionen sowohl bei den Mitgliedern als auch bei den Mitarbeitern dokumentieren.

Bei insgesamt 59.999.476 Besuchen im Untersuchungszeitraum gab es 311 Corona-Fälle bei den Mitgliedern und 196 Corona-Fälle bei den Mitarbeitern. Dies entsprach letztendlich einer Rate von 0,85 Corona-Fälle pro 100.000 Studiobesuchen. In der letzten Woche der Untersuchung gab es in den 13 untersuchten europäischen Ländern 541.520 Corona-Fälle, was einer Rate von 171,84 Corona-Fälle pro 100.000 Einwohner entspricht. Gleichzeitig wurden lediglich 46 Corona-Fälle in den herangezogenen Fitnessstudios und Sportanlagen dokumentiert, woraus sich eine Rate von 1,55 Corona-Fälle je 100.000 Studiobesuchen ergibt (bei 2.970.600 Studiobesuchen in der besagten Kalenderwoche). Tendenziell sank das Ansteckungsrisiko mit der Größe der jeweiligen Einrichtung. Besonders bei kleineren Einrichtungen unter 500 m² war die Rate der Corona-Fälle verhältnismäßig hoch.

Die vorliegenden Daten sprechen insgesamt eher für ein geringes Risiko einer Ansteckung durch Corona in Fitnessstudios und Sportanlagen. Allerdings repräsentieren die berücksichtigten Einrichtungen lediglich 6,8% der gesamten Einrichtungen in den untersuchten Ländern. Auch handelt es sich um selbst berichtete Daten der jeweiligen Fitnessstudios und Sportanlagen, deren Validität unklar ist. Die Aussagekraft dieser Studie ist daher fraglich, zumal sie von Unternehmen aus der Fitnessbranche unterstützt wurde.

Zusammenfassung der Studienlage


Inwiefern tatsächlich ein erhöhtes Risiko einer Ansteckung durch Corona im Fitnessstudio besteht, kann auf Grundlage der vorliegenden Datenlage nicht eindeutig beantwortet werden. Während die Studie von Chang et al. lediglich Zusammenhänge aber keine Kausalität aufzeigt, lag bei der Untersuchung von Jang et al. ein extremes Szenario ohne jegliche Sicherheitsmaßnahmen vor, so dass diese Daten bestenfalls den Worst Case beschreiben.

Helsingen et al. konnten mit ihren Ergebnissen die Ansteckungsgefahr relativieren, allerdings weist diese Studie durch die geringe Auslastung der Fitnessstudios erhebliche Limitationen auf, so dass die Aussagekraft nur begrenzt ist. Auch die Untersuchung von Jimenez et al. bringt keine abschließende Klärung. Inwiefern die zugrundeliegenden Daten ordnungsgemäß erhoben wurden, kann nur gemutmaßt werden. Die Betreiber der Fitnessstudios und Sportanlagen, die für die Dokumentation zuständig waren, können nicht als unabhängig eingeordnet werden. Dazu haben die Unterstützer der Studie (zum Beispiel Hersteller von Fitnessstudio-Geräten, Software-Hersteller im Fitnessbereich sowie Hersteller von Fitness-Uhren) ein großes wirtschaftliches Interesse an der Öffnung der Fitnessstudios.

Fazit


Unbestritten ist, dass ein typisches fitnessorientiertes Training (zum Beispiel Kraft- und Ausdauertraining) den negativen gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Maßnahmen (wie zum Beispiel Zunahme von Körperfett und Verschlechterung der psychischen Gesundheit durch körperliche Inaktivität) entgegenwirken kann, so dass Wege gefunden werden sollten, ein solches Training trotz eines hohen Infektionsgeschehens zu ermöglichen. Insgesamt muss der Umstand, dass derzeit signifikant weniger Sport und gesundheitsorientiertes Fitnesstraining mit seinen positiven psycho-physischen Effekten durchgeführt werden, in die Risiko- und Verhältnismäßigkeitsabwägungen einbezogen werden. Ein fitnessorientiertes Training sollte während der Corona-Pandemie aufgrund der vielfältigen Vorteile für die physische und psychische Gesundheit aufrechterhalten bleiben, sofern adäquate Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden.

Abbildung: DmitryStock / shutterstock.com
Quelle: shape UP 4/2021
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