Boom und Boomeritis

​Während früher der Ruhestand meist im Wortsinne ausgelebt wurde, ist heute ein regelrechter Ansturm der Best Ager auf Fitnessstudios, Radstrecken und Jogging-Parcours zu beobachten. Was bewegt die Generation 50 plus, sich mehr zu bewegen? Welche gesundheitlichen Folgen hat das Ganze? Und, wie sieht ein adäquates Training in den besten Jahren aus?

Deutschland wird älter, aber wird Deutschland dadurch auch zwangsläufig weniger fit? Schauen wir zunächst auf die Zahlen desStatistisches Bundesamtes. Aktuell leben hierzulande gut 24,6 Millionen 45- bis 65-Jährige und knapp 17,9 Millionen über 65-Jährige, das ergibt zusammen einen Bevölkerungsanteil von 51,1 Prozent. In der Zukunft wird sich die Relation zwischen Alt und Jung stark verändern. Machen die über 65-Jährigen heute 21,6 Prozent der Bevölkerung aus, wird die Quote 2060 prognostiziert bei 31 Prozent liegen – ferner wird der Anteil der sich im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren Befindlichen von aktuell etwa 61 Prozent auf 52 Prozent sinken. Darauf, was das für den Fitnesszustand des Landes bedeutet, liefert der DKV-Report Hinweise. Es zeigt sich, dass vor allem die Alterskohorte der 46- bis 65-Jährigen die Fitnessfahne hochhalten – bei Menschen über 65 lässt das Aktivitätslevel nach wie vor zu wünschen übrig. Generationenübergreifender Spitzenreiter sind die 46- bis 65-Jährigen bei moderaten körperlichen Freizeitaktivitäten. 55 Prozent von ihnen geben an, sich entsprechend zu betätigen: ein Wert, der weder von Jüngeren noch Älteren erreicht wird. Bei intensiven körperlichen Aktivitäten in der Freizeit und moderaten sowie intensiven Arbeitsaktivitäten schneidet die Gesamtgruppe der bis 45-Jährigen besser ab. Deutschland weist also mit dem Wachstum der „jungen Alten“, zumindest was „moderate Fitness“ anbelangt, noch passable Ergebnisse auf. Dieser Rückschluss wird auch von den 2020er „Eckdaten der deutschen Fitness-Wirtschaft“ bestätigt. Ihnen zufolge steigt der Anteil der älteren Fitnessstudiobesucher seit Jahren kontinuierlich, mit einem Ende dieses Trends wird nicht gerechnet. Das Durchschnittsalter der Studiomitglieder liegt schon bei 41 Jahren und wird weiter ansteigen. Über 60-Jährige machen bereits etwa zehn Prozent der weit über 11,6 Millionen Mitglieder der deutschen Fitnessstudios aus.

Woher rührt der Sportsgeist?


Der weit verbreitete sportliche Aktionismus der über 50-Jährigen kommt nicht aus heiterem Himmel. Angehörige dieser Bevölkerungsgruppe messen, laut seca Trendreport, der sich mit der Revolutionierung der Fitnessbranche beschäftigt, dem Thema Sport im Alter eine andere Bedeutung als ihre Vorgängergenerationen bei. Denn die heutigen Best Ager sind als erste Generation mit der Maxime von Freiheit und Selbstverwirklichung groß geworden und betreiben Sport aus Freude an Bewegung und Ausdruck von Selbstbestimmtheit. Nimmt man noch die beschriebene zahlenmäßige Dominanz der Gruppe hinzu, lässt sich der in die zweite Lebenshälfte gerettete Sportsgeist griffig auf folgende Formel bringen: „Wenn alle alt sind, möchten alle jung sein“.

Warum ins Fitnessstudio?


Das Bestreben vieler Fitnessstudios geht dahin, den Nerv des zahlenmäßig starken Kundenpotenzials zu treffen. Das geschieht nicht nur aus Nächstenliebe, denn Best Ager bringen die für regelmäßigere Studiobesuche notwendige Zeit mit, verfügen über eine vergleichsweise hohe Kaufkraft und lassen sich eine gute Gegenleistung größtenteils auch gerne etwas kosten. Die „Eckdaten der deutschen Fitness-Wirtschaft“ legen nahe, womit sich die Klientel locken lässt. Ihnen zufolge legen Best Ager besonderen Wert auf einen umfangreichen Gesundheitscheck, altersgerechtes Kraft-, Mobilisations- und Rückentraining sowie Gruppenkurse und Entspannungsangebote. Persönliche soziale Kontakte, Wertschätzung, individuelle Betreuung und die nötige Zeit sind Attribute, mit denen Betreiber bei den „älteren Trainingssemestern“ am besten punkten können.

Dr. Britta Manchot, Expertin für Age Management, Alters- und Sportmedizin, äußert sich dazu im seca Trendreport: „Gerade weil wir immer älter werden, wächst auch der Wunsch, gesund zu bleiben! Und so nimmt die Bereitschaft, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen und sich auch im Alter fit zu halten, entsprechend zu, um die gesunde Lebensspanne zu verlängern.“ Die Motivation, Sport zu machen, unterscheide sich dabei im Generationenvergleich gar nicht so stark. Denn egal, ob es um ein Sixpack, straffere Haut, Leistungsfähigkeit oder den Erhalt von Ausdauer, Beweglichkeit und Kraft gehe – im Kern stünde neben dem Wunsch, das biologische Alter zu verjüngen, auch das Verlangen, individuelle Risikofaktoren für das Altern zu vermeiden oder auszuschalten. Mit steigendem Alter verschiebe sich somit der Schwerpunkt: Das vor allen von Jüngeren geäußerte Verlangen nach einem besseren Aussehen trete zugunsten eines gesundheitsoptimierenden Lebensstils zurück, sodass es möglich werde, lange Zeit eigenständig zu bleiben. Regiert dabei jedoch immer die Vernunft? Ist Sport in Sachen Gesundheit völlig nebenwirkungsfrei? Nicht wirklich, denn wo Licht ist, ist auch Schatten.

Freud und Leid


Viele Vertreter der Generation 50 plus, speziell eben solche, die sportbegleitet erwachsen geworden sind, erwarten, dass sie auch im hohen Alter weiterhin im Wesentlichen wie gewohnt trainieren können. Doch auch, wenn man sich faktisch tatsächlich noch jung fühlt, nagt der Zahn der Zeit unaufhaltsam an einem. Der Spiegel wichtiger Hormone nimmt mit den Jahren bei beiden Geschlechtern ab, was zwangsläufig den Abbau von Muskelmasse zur Folge hat. Ohne Programmänderung führt dies beinahe zwangsläufig dazu, dass das Verletzungsrisiko um ein Vielfaches steigt. Diese Gefahr wiederum wird speziell von denjenigen verkannt, die ihr ganzes Leben aktiv waren. Sie wähnen sich in der trügerischen Sicherheit, doch schon immer weitgehend verletzungsfrei Sport gemacht zu haben. Und, wenn’s dennoch zwickt und zwackt? Nun, dann beherzigen viele ältere Sportler anscheinend das Motto „no pain, no gain“ (übersetzt etwa: Keine Pein, kein Ertrag). Macht sich der Körper nach dem Training nicht mit Muskelschmerzen und Co. bemerkbar, bringt die Veranstaltung aus Sicht der so Gepolten offensichtlich wenig bis nichts. Folgen dieses sportlichen Aktionismus sind in allen hochentwickelten Ländern der Welt zu beobachten. Nämlich in Form einer Zunahme von vielen um den Bewegungsapparat kreisenden Krankheitsfällen.

Das Krankheitsbild „Boomeritis“


Die Kombination aus sportlichem Ehrgeiz und erhöhter Verletzungsanfälligkeit der Generation 50 plus hat einen Namen. Schon früh prägte der US-amerikanische Sportmediziner und Orthopäde Dr. Nicholas DiNubile den Begriff „Boomeritis“ dafür. Wie kam es zu dieser Wortbildung? Zum Nachdenken brachte DiNubile eine auffällige Häufung der immer gleichen Klagen, die ihm als bekannter Arzt bei seinen Fitnessstudiobesuchen und in seiner Praxis verfolgten. Die geschilderten Leiden waren so gut wie immer muskuloskelettaler Natur. Namentlich ging es vor allem um Gelenk-, Sehnen- und Schleimbeutelentzündungen. Erstaunlich für den Gesundheitsexperten war auch, dass die Heimgesuchten einen gemeinsamen Nenner hatten: Sie erblickten, wie er selbst, zwischen Ende des zweiten Weltkriegs und Mitte der 1960er-Jahre das Licht der Welt und gehörten damit zu den sogenannten Babyboomern. „Boomeritis“ beschreibt also letztlich ein aus Unvernunft resultierendes Krankheitsbild, da die Komplikationen durch nicht altersgemäßes Training letztlich selbstverschuldet sind. Zum Phänomen „Boomeritis“ gehört übrigens auch, dass die Beschäftigung mit den Folgen der Unvernunft, es mit dem Sport zu übertreiben, gerne anderen überlassen wird. Ärztin oder Arzt werden’s schon richten, lautet die vorherrschende Denkweise.

Trainingsbegleitung muss sein


Gegen „Boomeritis“ hilft in erster Linie Überzeugungsarbeit und fachliche Unterstützung. Dazu noch einmal die 50-plus-Expertin Dr. Britta Manchot: „Je älter die Zielgruppe wird, desto wichtiger sind eine individuelle Betreuung und Trainingsplanung. Fortschrittliche Studios erfassen beispielsweise insbesondere bei Älteren die Muskelmasse, um Dysbalancen oder Schwächen zu erkennen und auf Basis dieser individuellen Daten die Trainingspläne entsprechend auszurichten. Die integrative Betrachtung von Gesundheit und Fitness, eine professionelle Aufklärung und individuelle Trainingskonzepte, die Cardio- und Krafttraining gleichermaßen berücksichtigen, sind für die Mitglieder ein Segen.“ Und, im Vergleich zu dem, was bei Inaktivität droht, wirken typische Boomeritis-Sportverletzungen schon beinahe harmlos. Denn rechtzeitige Prävention durch Bewegung ist ein ganz wesentlicher Hebel, um Altersgebrechlichkeit und altersassoziierte Krankheiten wie Diabetes, Schlaganfall oder Herzinfarkt hinauszuzögern oder zu verhindern. Übrigens: Je eher vorbeugende Fitnesskonzepte ansetzen, desto besser. Ziehen wir Sport früh beginnend bis ins hohe Alter durch, nutzen wir dessen positive Effekte optimal – zum Einstieg ist es indes nie zu spät.

Quelle: shape UP Vita 3/2021
Abbildung: NDAB Creativity / shutterstock.com
ZURÜCK ZUR ÜBERSICHT
shape up

Vielen Dank, dass Sie unseren shape up-Newsletter beziehen.
shape up online ist eine Marke der: Fitness Network Medien & Marketing UG, Immenhorst 14d . D-22850 Norderstedt

Tel. + 49 (0) 40 - 529 89 00, Fax: + 49 (0) 40 - 524 38 84

E-Mail: online@shapeup-magazin.de, Internet: www.shapeup-magazin.de

GF: Dr. Tobias Block, Register: HRB 13810 KI
shape up fitness shape up Trainer’s only shape up Business shape up Vita shape up ladies first